Das stand heute in der Berliner Zeitung
Brandenburg
Ungefährliche Kraniche?
Tiere ziehen wieder übers Land - aber die Angst vor Vogelgrippe ist gering Jens Blankennagel
POTSDAM. Millionen Zugvögel machen derzeit Rast in Brandenburg, um Kräfte für ihren Weiterflug nach Süden zu sammeln. An den Wochenenden fahren zahlreiche Schaulustige aufs Land, um die Kraniche zu beobachten. Doch anders als vor einem Jahr werden sie nicht als Gefahr angesehen. Im Herbst 2005 war die Vogelgrippe das Thema der Saison. Die Angst ging um, dass sich die hoch ansteckende Variante der Tierseuche H5N1 von Asien kommend mit dem gewöhnlichen Grippevirus verbinden und eine Massenerkrankung bei Menschen auslösen könnte.
Anders, als zunächst befürchtet, blieben bei der herbstlichen Passage der Zugvögel in Brandenburg Todesfälle in Folge der Vogelgrippe aus. Als dann im Frühjahr bei der Rückkehr aus dem Süden doch Vögel starben, löste dies fast schon hysterische Reaktionen aus. Doch nur Wildvögel starben an H5N1. Nicht zuletzt die Einführung der Stallpflicht verhinderte ein Überspringen der Erkrankung auf die 8,3 Millionen Stück Federvieh im Land. "In Brandenburg haben wir in diesem Jahr 21 Fälle von H5N1 bei Wildvögeln gezählt", sagte der Chef des Brandenburger Landeslabors, Roland Körber. Der letzte Fall war im Mai. Trotzdem schätzen Experten auch jetzt die Gefahr hoch ein, dass die Krankheit auf das Nutzvieh überspringen könnte.
Generell galt die Stallpflicht zwar bundesweit nach dem Frühjahr weiter, doch den Bundesländern stand es frei, Ausnahmegenehmigungen zu erteilen. Die werden großzügig gehandhabt und gelten in Regionen, in denen sich keine großen Geflügelbetriebe befinden. "In Brandenburg unterliegen mehr als 95 Prozent der Fläche den Ausnahmegenehmigungen", sagte der Sprecher des Potsdamer Agrarministeriums, Jens-Uwe Schade. Nun haben die Veterinäre von Land und Kreisen vier neue Restitutionsgebiete festgelegt, in denen die Stallpflicht gilt: ein Gebiet bei Ketzin zwischen Potsdam und Brandenburg/Havel, das Areal nördlich des Sperrgebietes am Gülper See im Westhavelland sowie zwei Gebiete entlang der Elbe in der Prignitz.
"Die Gefahr ist im Herbst nicht so hoch, wie im Frühjahr, wenn die Vögel aus dem Süden kommen", sagte Schade. Dann sei eher mit Todesfällen zu rechnen. Gäbe es eine akute Gefahr, hätten bereits vermehrt H5N1-Fälle in Skandinavien und Nordosteuropa auftreten müssen, von wo die Vögel kommen. Trotzdem werden in Brandenburg an den Sammelpunkten der Zugvögel wieder Speichel- und Kotproben für Untersuchungen genommen. Die Kreise sind mit Schutzausrüstungen ausgestattet. "Die Vogelgrippe gibt es seit vielen Jahrzehnten bei Wildvögeln, das kann der Mensch nicht verhindern", so Schade. Doch die Nutzvögel sollen geschützt werden. "Es ist immer möglich, dass die gefährliche Krankheitsvariante durch den Reiseverkehr eingeschleppt wird."
Das Landeslabor ist vorbereitet. Bis zum Sommer konnte nur das Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems den Nachweis über den H5N1-Virus führen. "Nun können wir es selbst", sagte Laborchef Körber. Dies sei sozusagen die A-Probe. Die B-Probe mache zur Sicherheit weiterhin Riems. Dank der neuen Tests verkürze sich bei einem Todesfall die Zeit bis zur Rückmeldung an Behörden und Bevölkerung um ein bis zwei Tage. Bis Ende September hat das Labor knapp 3 000 Wildvögel auf H5N1 untersucht, dazu kamen 1 500 Stück Wirtschaftsgeflügel. Die Landesregierung stellte vier zusätzliche befristete Stellen bereit, auch die Forstverwaltung schickte zwei Helfer.
Der Geflügelwirtschaftsverband ist mit den Ausnahmegenehmigungen im Land zufrieden. Das meiste Mastgeflügel werde sowieso in Ställen gehalten, sagte Geschäftsführerin Ursula Schimmrigk. Einbußen durch die Stallpflicht hätten aber jene 15 Prozent der Hühnerhalter erlitten, die in die Freilandproduktion investiert haben. Deshalb will der Verband erreichen, dass sie ihre Eier auch dann als Freilandeier verkaufen können, wenn sie ihre Hühner in überdachten, seitlich mit Drahtgeflecht gesicherten Ausläufen halten.
Berliner Zeitung, 16.10.2006
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