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AI, reloaded
von Bjoern Clauss
19.01.2006
Die zweite Panikwelle angesichts der Vogelgrippe in der Türkei hat
begonnen und führt mitunter wie in Deutschland zum fragwürdigen
Konstrukt einer "Geflügelpestschutzverordnung"
Nein, gemeint ist mit AI nicht "Artificial Intelligence" -
auch wenn man in diesem Zusammenhang oft hoffen möchte, dass es davon
mehr geben könnte. Die Rede ist vom zweiten Panikschub um die Aviäre
Influenza oder Vogelgrippe (Vogelgrippe versetzt Regierungen und Medien
in Panik (1)). Während sich immer mehr Wissenschaftler darüber
einig sind, dass die von Zugvögeln ausgehende Gefahr vernachlässigbar
gering (2) ist, basteln Seehofer und seine Länderkollegen schon wieder
fleißig, aber planlos an Verordnungen, um im Frühjahr das Geflügel
erneut wegzusperren. Das ist für die Halter wesentlich schwieriger
als im Herbst, denn der Frühling versetzt die Hormone der Federträger
mehr noch als die der Menschen in Wallung. Wenn man männliche Tiere
nicht trennt oder ihnen so viel Raum zur Verfügung stellt, dass sie
sich weiträumig aus dem Weg gehen können, bekämpfen sie
sich, oft bis zum bitteren Ende.
Die Geflügelgrippe gibt es seit Jahrhunderten, in dieser ganzen
Zeit hat es weder Wildvögel noch Haustiere, geschweige denn den Menschen
flächendeckend dahingerafft, auch wenn die Spanische Grippe am Ende
des I. Weltkriegs Millionen von Menschen getötet hat. Ob diese Endemie
aber mit einer möglicherweise kommenden unter den heutigen Bedingungen
vergleichbar ist, ist zumindest umstritten.
Die industriellen Geflügelzüchter dürften in der Vogelgrippe
eine willkommene Gelegenheit sehen, der Konkurrenz der ökologisch
wirtschaftenden Hersteller von Geflügelprodukten eins auszuwischen.
Die "grünen" Verbände wie Bioland und Demeter sind
auf Tauchstation, denn sie dürfen derzeit noch "Bio" und
"Freiland" auf ihre Produkte pinnen, obwohl die Tiere aufgestallt
sind. Bislang scheinen die Verbraucher sich das auch gefallen zu lassen.
Der Bauernverband "begrüßt die Maßnahmen der Regierung".
Wen wundert das? Er vertritt seit jeher die Interessen der großen,
agrarindustriellen Betriebe. Für die macht es keinen Unterschied,
ob die "Produktion" regulär verkauft oder (im Falle einer
Keulung) durch die Tierseuchenkasse beglichen wird. Bezahlt wird immer
vom Endverbraucher, entweder über die Ladenkasse oder über die
Steuern.
Die Pharmaindustrie freut sich über reißenden Absatz eines
dubiosen Grippemittels. Wir erinnern uns - von den bis Ende letzten Jahres
120 mit H5N1 infizierten Menschen haben 50% überlebt. Von den acht
frühzeitig mit Tamiflu behandelten Patienten starben vier. Obwohl
man nun mit Fug und Recht jegliche Wirksamkeit dieses Medikaments zumindest
in Frage stellen könnte, bestellt unsere Regierung mal locker einen
Vorrat für schlappe XXX Millionen Euro. Für die Masse der Bevölkerung
reicht das zwar nicht, die Dosis ist für medizinisches Personal sowie
für Sicherheitskräfte und Behörden reserviert. Trotzdem
sollte das gemeine Volk darüber nicht traurig sein - in Japan sind
immerhin 12 Kinder nach der prophylaktischen Einnahme von Tamiflu gestorben
(3).
Die federführenden Institute liefern fleißig die von der Regierung
gewünschte Munition und werden im Gegenzug mit reichlich Forschungsmitteln
bedacht. Als Beispiel mag das Friedrich-Loeffler-Institut ( FLI (4)),
das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, dienen. Hier wurde
anhand eines hochvirulenten Typs bewiesen (5), wie gefährlich AI
ist. 100% der künstlich infizierten Hühner und Puten starben
innerhalb weniger Tage. Weil das sich nun in Bezug auf eine Übertragung
durch Zugvögel gar nicht gut anhört (ein so angegriffener Vogel
fliegt sicherlich keine hunderte Kilometer), zieht man zum "Beweis"
der Übertragbarkeit durch Zugvögel einfach einen niedrig virulenten
Typ der Vogelgrippe aus dem Hut.
Risikoträger Zugvögel?
Tatsache ist, dass in ganz Mitteleuropa trotz intensiver Monitoring-Maßnahmen
noch kein einziger H5N1-infizierter Zugvogel gefunden werden konnte. Auch
andernorts hat man noch keine massive Infektion von Wildvögeln festgestellt,
erkrankte Wildvögel finden sich, wenn überhaupt, dann im Umfeld
von infizierten Massenhaltungen. In Afrika, dem Hauptursprungsgebiet des
frühjährlichen Vogelzugs, gab es bislang keinen Infektionsfall
oder man nichts entdeckt. Dafür gibt es in Deutschland Gebiete,
die vom Vogelzug weitgehend unberührt sind, was aber keinen Grund
darstellt, sie vom Aufstallungsgebot auszuschließen. Auch zwischen
Haus- und Nutztieren wird nicht unterschieden.
Derweil stellt Bayerns Minister Schnappauf mit glänzenden Augen
schon mal seine neuesten Vernichtungsspielzeuge (6) vor. Für 60.000
Euro hat er eine mobile Elektro-Tötungsanlage erstanden, die es auf
4.000 (Gummi-?)Hühner die Stunde bringt. Detaillierte Pläne
für den Ernstfall liegen schon bei allen Veterinärämtern.
Seit jetzt das Aufkommen der Vogelgrippe und die ersten Toten aus der
Türkei gemeldet werden, möchte man das Problem mit "verstärkten
Grenzkontrollen" in den Griff bekommen, und wenn man sich ansieht,
was der Zoll schon an den Flughäfen aus den Koffern unserer türkischen
Freunde ans Licht des Tages befördert, dann ist man geneigt zu glauben,
dass es bei uns nichts Vernünftiges an Lebensmitteln mehr zu kaufen
gibt. Gut zu wissen also, dass unsere Grenzkontrollen jetzt verschärft
werden, denn auf diese Weise konnten ja bislang auch schon vergleichsweise
harmlose Probleme wie Drogen- oder Menschenschmuggel gelöst werden.
Bundesweit deutet alles darauf hin, dass man im Frühjahr die Aufstallung
wieder in Kraft setzen will. In Bezug auf die Gesundheit unserer heimischen
Tiere ist der Erlass einer erneuten Aufstallung geradezu absurd, denn
die aufgestallten Tiere leben unter hygienisch wesentlich schlechteren
Bedingungen als vorher im Freiland, sie sind mithin wesentlich weniger
krankheitsresistent als ohne Aufstallung. Hinzu kommt, dass sich Freilandtiere
über das Futter mit allen gesundheitsrelevanten Nahrungsinhaltsstoffen
versorgen. Zur Erhaltung eines guten Gesundheitszustandes ist bei Wassergeflügel
auch Zugang zu Badegelegenheiten unabdingbar. Den Zugang zum Wasser per
Verordnung zu verbieten, ist nicht nur aus Gesundheitsaspekten heraus
unsinnig, dies widerspricht auch den Grundsätzen einer artgerechten
Haltung, wie sie im Tierschutzgesetz gefordert wird.
Die Auswirkungen einer Aufstallung führen genau die Zustände
herbei, die aktuell zum Tod dreier Kinder in der Türkei geführt
haben. Zwar ist es hierzulande nicht der Brauch, mit Hühnerköpfen
zu spielen, aber enger Kontakt zu den Tieren unter den schlechten hygienischen
Bedingungen einer Aufstallung ist das Infektionsrisiko Nummer 1 für
den Menschen.
Die EU versucht es derweil mit einer Doppelstrategie. Einerseits darf
ruhig vernichtet, statt geimpft werden, denn eine Impfung würde den
Agrarexporten schaden. Andererseits sorgt man sich um die Biodiversity
(7) und veranstaltet Alibi-Umfragen (8) zum Thema.
Die deutsche Geflügelpestschutzverordnung
Die deutsche Politik ergreift das bewährte Mittel der Verordnung.
Derzeit gilt die Vierte Verordnung zur Änderung der Geflügelpestschutzverordnung
vom 7. Dezember (9). Die wichtigste Passage im Wortlaut:
Wer Geflügel nicht ausschließlich in Ställen hält,
hat sicherzustellen, daß
1. die Tiere nur an Stellen gefüttert werden, die für wildlebende
Zugvögel nicht zugänglich sind,
2. die Tiere nicht mit Oberflächenwasser, zu dem wildlebende Zugvögel
Zugang haben, getränkt werden und
3. Futter, Einstreu und sonstige Gegenstände, mit denen Geflügel
in Berührung kommen kann, für wildlebende Zugvögel unzugänglich
aufzubewahren ist."
Obwohl das durchaus angebracht wäre, will ich nicht hinterfragen,
was denn mit "wildlebenden Zugvögeln", gemeint ist, eine
zauberhafte Schöpfung deutscher Beamtenprosa. Oder haben Sie schon
einmal einen nicht wildlebenden Zugvogel gesichtet? Ist das dann ein Zugvogel,
der nicht zieht? Und ist ein Zugvogel, der nicht zieht, dann noch ein
Zugvogel? Da zur Zeit kein Vogelzug stattfindet, können mit dem Begriff
"wildlebende Zugvögel" eigentlich nur Arten gemeint sein,
die bei uns den Winter (bzw. im Sommerhalbjahr den Sommer) verbringen,
das heißt hier in Deutschland (Europa) ist die jeweilige Endstation
des Vogelzugs der betreffenden Art. Daraus wiederum kann man messerscharf
schließen, dass es in der freien Natur, ja sogar in Stadtgebieten,
nur wenige Biotope gibt, die nicht betroffen wären, und zwar ganzjährig.
Der Umkehrschluss beweist, dass dies tatsächlich so gemeint und
gewollt ist, denn wenn diese Definition nicht zuträfe, dann wäre
ja die ganze Verordnung in sich widersinnig. Denn wieso sollte etwas genau
in der Zeit reglementiert werden, zu der es nicht passieren kann, also
Kontakt zu Zugvögeln, die jetzt nicht ziehen?
Die Bedeutung der drei zitierten Sätze der Verordnung ist damit
klar und es besteht kein Spielraum für Interpretationen. Jegliche
Freilandhaltung von Geflügel ist künftig de facto verboten,
denn keines unserer Tiere, egal ob Huhn, Ente, Gans oder Pfau, darf fortan:
* unter offenem Himmel Würmer, Schnecken oder Sämereien picken
oder scharren
* Gras weiden
* Wasser trinken, das sich in der freien Natur befindet (egal ob Tränke,
Pfütze, Bach oder See)
* in Gewässern schwimmen, die sich in der freien Natur befinden (denn
da könnte es ja davon trinken)
* mit natürlich gewachsenem Futter ernährt werden im Stall auf
natürlicher Einstreu (z.B. Stroh) gehalten werden.
Und damit wird der ganze Unsinn der Verordnung deutlich. Offenbar soll
jetzt per ministeriellem Erlass die Haltung von Hausgeflügel und
der größeren Arten von Ziergeflügel unmöglich gemacht
werden.
Besonders den Begriff des in der Verordnung erwähnten Oberflächenwassers
muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, um in den Genuss der vollen
Tragweite zu kommen. In weiten Teilen (nicht nur) Deutschlands dient das
sogenannte Oberflächenwasser als Trinkwasser, ich erinnere hier nur
an die Trinkwasserentnahme aus dem Bodensee, der mehr als 6 Millionen
Mitbürger versorgt. In diesem Wasser, das laut Behördenauskunft
völlig unbedenklich für uns alle bis hin zum Kleinkind ist,
dürfen Enten nicht einmal schwimmen! Und man frage bitte die "Experten",
wie dort die Vogelgrippeviren gefiltert werden. Wie kann man es künftig
noch verantworten, in einem See, Bach oder Fluss zu baden? Alles verseucht!
Und was passiert diesen Sommer mit unseren Freibädern? Werden die
geschlossen, überdacht, oder wird "wildlebenden Zugvögeln"
per Dekret verboten, über diesen Flächen Fäkalien abzulassen?
Könnte es sein, dass sich unsere Kinder mit ministerialbürokratischem
Segen in einer Virusbrühe vergnügen dürfen, die man nicht
mal einer Ente zumuten möchte?
Mit einer widersinnigen Verordnung werden Rechte von Bürgern in
einer Art eingeschränkt, die bisher das Kennzeichen von Bananenrepubliken
der Dritten Welt war. Man bezieht sich auf § 79 des Tierseuchengesetzes
und den darin enthaltenen "Ermächtigungsgrundsatz", schon
das Wort weckt ungute Assoziationen. Somit kann, einfach auch durch Postulierung
einer imaginären Gefahrenlage, ein Ministerium ohne Zustimmung weiterer
Verfassungsorgane, ohne öffentliche Diskussion, ohne zeitliche Beschränkung,
ohne wissenschaftlich fundierte Belege einen Erlass verkünden. Von
einem Rechtsstaat würde man nun erwarten, dass er mit einem solchen
Instrument sehr vorsichtig umgegangen wird. Weit gefehlt, für den
ohnehin schon politikverdrossenen Bürger entsteht wieder einmal der
Eindruck, dass nur noch die Rechte der großen Lobbys wie die der
Massentierhalter und der Pharmaindustrie zählen. Dies spiegelt sich
auch in derzeit laufenden Umfragen wider, über 60% der Hobbyhalter
geben an, bei kommenden Aufstallungen zivilen Ungehorsam proben zu wollen.
Manch einer wird sich nun fragen "Was soll's - ich habe kein Geflügel,
und die paar Halter werden auch ohne auskommen ...". Zur europäischen
Kulturlandschaft gehört seit Jahrhunderten der Anblick von Mistkratzern
auf dem bäuerlichen Anwesen, Enten und Gänse auf dem Dorfteich
waren früher in ländlichen Gebieten Normalität. Ab den
60er Jahren des letzten Jahrhunderts verschwanden sukzessive viele Kennzeichen
und Eigenheiten des ländlichen Umfelds, erst in den 90ern erkannte
man den Verlust und ein Umschwenken war erkennbar. Seither genießt
Geflügel nicht nur im bäuerlichen Umfeld, sondern zusehends
auch bei Hobbyhaltern wieder ein höheres Ansehen. Nun wird nicht
nur die Hobbyhaltung von ein paar Entchen (10) im Schrebergarten künftig
unmöglich, auch die Produktion von ökologisch wertvollen Lebensmitteln,
vom Mistkratzerei bis hin zur Freilandgans, ist mit der neuen Verordnung
am Ende. Weitere seltene Arten (11) werden aussterben, denn für die
Massentierhaltung sind sie nicht von Interesse.
Und glaube nur keiner, er wäre selbst nicht betroffen, weil er nur
harmlose Tiere wie Hunde, Katzen, Karnickel oder größere Arten
wie Rinder, Schafe oder Ziegen hält. Beim Geflügel machen die
Bürokraten sicher nicht Halt. Früher oder später werden
sie es auch bei allen anderen versuchen. Bei Katzen (12) wurde H5N1 nach
der Infektion im Gewebe der Atemwege, der Lunge, des Darms, der Leber,
den Nieren, im Herzen, im Gehirn und den Lymphknoten nachgewiesen. Die
Infektion erfolgte dabei über infiziertes Geflügel oder von
Katze zu Katze. Viele Katzenhalter werden wohl ins Grübeln kommen,
wenn der Stubentiger in der nächsten Freilaufsaison wieder mal einen
Vogel in der Mache hat.
Hunde kommen als Krankheitsträger genau so in Frage wie Schweine,
es stellt sich die Frage, ob sich Schnappaufs Maschine entsprechend umrüsten
lässt. Dann kann er im Fall der Fälle im Zuge der Amtshilfe
seinem niedersächsischen Kollegen Ehlen in dessen Schweinehaltungsbetrieb
unter die Arme greifen ...
Links
(1) http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21295/1.html
(2) http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/516997.html
(3) http://www.newscientist.com/article.ns?id=dn8345
(4) http://www.fli.bund.de/
(5) http://www.fli.bund.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/News/
av_Influ/FB_Gefluegelpest_FLI_050828.pdf
(6) http://www.stmugv.bayern.de/de/aktuell/presse/2006/9.htm
(7) http://europa.eu.int/comm/environment/nature/biodiversity/
develop_biodiversity_policy/policy_develop_process/index_en.htm
(8) http://www.eu.int/yourvoice/ipm/forms/dispatch?form=BIODIVERSITY
(9) http://www.verbraucherministerium.de/data/
000D16769B59139D9B0B6521C0A8D816.0.pdf
(10) http://www.laufenten.de/
(11) http://www.g-e-h.de/
(12) http://www.animal-health-online.de/news/show.php?u=41&p=
http://ticker-grosstiere.animal-health-nline.de/20060115-0002/
Hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors
und des heise-Verlags.
Geflügelpestschutzverordnung: Kritischer Kommentar von Bjoern Clauss
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